„Experten“-Systeme wohin das Auge schaut

„Ich verbrachte fünf Jahre als Ingenieur und war jedes Mal frustriert, wenn ein Kollege etwas falsch machte oder ein Fabrikarbeiter seine Arbeit schlecht machte, und fing an, mir zu sagen: „Was würde ich nicht dafür geben, wenn ein Haufen Roboter ihre Arbeit machen würden.“ Nachdem ich dieses Buch gelesen habe, verstehe ich, dass ich Teil des Problems bin. Es ist unsere Menschlichkeit, die das Leben lebenswert macht. Dieses Buch mag 1989 geschrieben worden sein, aber es prophezeit die Welt, in der wir jetzt leben, in erschreckendem Maße. […]“ (Eine Rezension des Buches von Barbara Garson, „The Electronic Sweatshop“)

Hatten Sie in der Schule eigentlich auch noch „Werken“? Werken schafft bereits in frühen Jahren fachliche Kompetenz für das „Wie macht der Mensch dieses oder jenes?“.


Gewusst wie?

Während das „Gewusst wie!“ in immer kleineren Management-Eliten konzentriert wird, kann die eigentliche Produktion flexibel von schnell angelernten vornehmlich immer billigeren Hilfsarbeitern erledigt werden. Hilfsarbeiter, die nicht viel denken, die kaum Kenntnisse des zugrundeliegenden Handwerks oder der Idee dahinter sowie Funktionsweise der Waren und Dienstleistungen besitzen, welche sie produzieren. Es reicht heutzutage (nach Auffassung der Kapitalisten), wenn wenige (oder gar nur einer) die Übersicht über die Arbeit der Hilfsarbeiter behalten/behält.

Ich kenne selbst jemanden, der äußerst gut bezahlt (nahezu rund um die Uhr) von einer sehr großen Firma aus auf dem Bau schafft und dort als einziger die ganzen billigen Hilfskräfte aus dem Ausland (zumeist Rumänen), die die Arbeit machen, beaufsichtigt und entsprechende Anweisungen zu deren anfallender Tätigkeit gibt. Er ist ein selbst sehr wenig denkender sogenannter Worcaholic (er weiß dies scheinbar selbst nicht und bietet sich daher hervorragend für eine äußerst effektive Ausbeutung rund um die Uhr an, auch am Wochenende etc. pp), der durch viel Geld und mehr oder weniger gespielter Anerkennung von den Chefs wie gewünscht pariert.

In „The Electronic Sweatshop: How Computers Are Transforming the Office of the Future into the Factory of the Past“ beschreibt Barbara Garson detailliert, wie immenser menschlicher Erfindungsreichtum eingesetzt wurde, um die Notwendigkeit menschlichen Erfindungsreichtums zu beseitigen!


„Experten“ der Neu-Zeit

Barbara Garson beschreibt, dass, ähnlich wie Taylors Rationalisierung der Arbeitsabläufe (siehe u. a. Teil 1), die Absicht von sogenannten Experten-Systemen darin besteht, „Wissen, Fähigkeiten und Entscheidungsfindung vom Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber zu übertragen“.

Um ein solches Experten-System aufzubauen, wird schlicht ein sogenannter Vorzeige-Experte intensiv befragt und dann von einem Wissensingenieur „geklont“ (kein Wunder, dass wir von derart vielen sogenannten „Experten“ die letzten Jahrzehnte überall zunehmend dasselbe vernehmen…!).

Schließlich werden Hunderte oder Tausende von Regeln in die Computer-Systeme eingespeist. Das Ergebnis sind dann Programme, die heuristisch „Entscheidungen treffen“ oder „Schlussfolgerungen ziehen“.

Lesen Sie  zur Vertiefung dieser Thematik bitte auch diesen Artikel.

Wie ein echter Experte sollte ein solches fein definiertes Experten-System selbstverständlich in der Lage sein, Schlussfolgerungen aus zweifelhaften oder unvollständigen Daten zu generieren, die etwas vermuten lassen oder eher ausschließen.

Mit anderen Worten: Dieses „Experten-System“ nutzt oder ersetzt das gesunde Urteilsvermögen!

Der menschliche Experte, der „geklont“ wurde, erlangt in gewissem Sinne durch diesen Prozess eine große Macht und zudem Unsterblichkeit. Und sein Wissen (ob nun richtig oder falsch!) wird zum Status Quo erklärt.

Andere Experten und zukünftige Experten, werden durch diese Zentralisierung des „Fachwissens“ automatisch verdrängt werden. Das bedeutet, dass mehr Menschen in der Beratungs- oder Dienstleistungsbranche als reine Multiplikatoren und nicht als Urheber dieser Ratschläge tätig sein werden“, schreibt Barbara Garson in ihrem Buch.


Wahre (!) Wissenschaftler sollten jedoch vor Allem bestrebt sein, in Einsamkeit, geistiger Unabhängigkeit und Freiheit zu leben. In Einsamkeit mit dem wissenschaftlichen Werk und ausschließlich demselben verpflichtet!


„Die Ungleichheit ist zur Achillesferse der modernen Wirtschaft geworden. Sie zeigt sich in vielen Formen: massive Vergütungen von Spitzenmanagern, eine wachsende Kluft zwischen den Löhnen an der Spitze und am unteren Ende der Unternehmen, die Stagnation der mittleren Einkommensschichten im Vergleich zu denen der Elite.

Der Wettbewerb um jeden Preis erzeugt extreme materielle Ungleichheit. […]

Die wirtschaftliche Wirtschaftsmaschine kann profitabel und effizient laufen indem sie sich auf eine immer kleiner werdende Elite stützt.

(„The Culture of the New Capitalism“, Richard Sennett)

In „The Culture of the New Capitalism“ beschreibt Richard Sennett einen solchen Prozess, insbesondere in den Spitzenbereichen der Hochfinanz, der Spitzentechnologie und der anspruchsvollen Dienstleistungen. Echte Wissensarbeit konzentriert sich demnach auf eine immer kleiner werdende Elite. Deren gängige These lautet in etwa so, dass die Gesellschaft nur eine relativ kleine Anzahl von Gebildeten braucht, die über wirkliches Talent verfügen.

Der sogenannte „Taylorismus“ wurde zuerst auf Arbeiter angewendet, längst ist er jedoch beim „Angestelltentum“ angekommen.

„Performance Indicators were never about quality. They were and are about cuts and control.“ („Counting out the Scholars“, William BruneauDonald C. Savage)

Bei Leistungs-Indikatoren ging es also nie um Qualität. Es ging und geht um Kürzungen und schlicht um Kontrolle. Wenn man die Welt betrachtet, ist dem wohl nur noch wenig hinzuzufügen und es wird verständlich, wenn man die scheinbar unaufhaltsame Abwärtsspirale für den Großteil der Weltbevölkerung anschaut.


Wenn wir den Prozess verstehen, durch den so viele Arbeitsplätze weltweit die letzten Jahrzehnte über zerstört wurden, wird es einfacher für uns sein, all diejenigen Arbeitsbereiche zu erkennen, die sich diesem Prozess erfolgreich widersetzt haben. Wir können somit die Arbeitsplätze identifizieren, in denen die menschlichen Fähigkeiten auch heute noch besser genutzt werden können und diesem Zerstörungstrend  entgegenarbeiten.


Kontrolle durch den Staat und die Konzerne

Matthew B. Crawford schreibt in seinem Buch „Shop Class as Soulcraft: An Inquiry into the Value of Work“, dass Soziologen in den 1950er Jahren begannen, auf eine grundlegende Ähnlichkeit zwischen der sowjetischen und der westlichen Gesellschaft hinzuweisen. In beiden Gesellschaften (!) schien es eine zunehmende Zahl von Arbeitsplätzen zu geben, die radikal vereinfacht wurden.

Beide Gesellschaften waren industriell geprägt und hatten eine zunehmende Trennung von Planung und Ausführung gemeinsam. Dies wurde manchmal auf die Automatisierung zurückgeführt, aber es gab auch tiefgreifendere Beobachtungen  und diese stellten fest, dass dies auf die Erfordernisse der rationalen Verwaltung zurückzuführen war – eine Art Sozialtechnologie, die in der Arbeitsteilung wurzelt. Die betreffende „Maschine“ war der soziale Körper, der aus immer mehr standardisierten Teilen bestand.

Im Sowjetblock unterlag diese Maschine der zentralen Kontrolle durch den Staat, im Westen durch die Konzerne.

1974 veröffentlichte Harry Braverman sein Werk „Labor and Monopoly Capital: The Degradation of Work in the Twentieth Century“. Braverman gibt in seinem Werk eine reichhaltige Erklärung ab, die die Degradierung vieler verschiedener Arten von Arbeit umfasst.

Er erklärt auch, warum wir Menschen von Jahr zu Jahr dümmer werden. Die Degradierung der Arbeit bedeutet nämlich letztlich eine kognitive Angelegenheit ist, die in der Trennung von Denken und Tun wurzelt. So einfach ist das.


Laut Braverman ist der Hauptschuldige in diesem Spiel das „wissenschaftliche Management“, das den Arbeitsplatz nicht als Vertreter der Wissenschaft, sondern als Vertreter des Managements — im Gewand der Wissenschaft — betritt!


Taylors „Principles of Scientific Management“ waren in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts sehr einflussreich. Taylor schreibt: „Die Manager übernehmen … die Last, all das traditionelle Wissen, das die Arbeiter in der Vergangenheit besaßen, zusammenzutragen und dieses Wissen dann zu klassifizieren, zu tabellarisieren und auf Regeln, Gesetze und Formeln zu reduzieren.

Das gesammelte handwerkliche Wissen wurde in die Hände des Arbeitgebers gegeben und dann in Form von minutiösen Anweisungen an die Arbeitnehmer weitergegeben, um einen Teil des Arbeitsprozesses auszuführen. Dieser Prozess ersetzt das, was ehemals eine ganzheitliche Tätigkeit war! Eine Tätigkeit, welche seit jeher in der handwerklichen Tradition und Erfahrung verwurzelt war und von der eigenen geistigen Vorstellung des Arbeiters von dem fertigen Produkt und seiner Absicht dazu belebt wurde.

Jegliche mögliche Denkarbeit sollte laut Taylor aus den Werkstätten entfernt und in der Planungs- oder Auslegungsabteilung konzentriert werden!


Einfache Arbeitskräfte sind auf Dauer billiger

Sobald die kognitiven Aspekte der Arbeit in einer separaten Management-Klasse angesiedelt sind, oder besser noch in einem Prozess, der, wenn er einmal konzipiert ist, kein ständiges Urteilsvermögen oder Nachdenken erfordert, können qualifizierte Arbeiter durch ungelernte Arbeiter zu einem niedrigeren Lohnsatz ganz einfach nach und nach problemlos ersetzt werden. Die kompletten Möglichkeiten des von Taylor entwickelten Systems seien erst dann verwirklicht, wenn fast alle Maschinen im Betrieb von Männern bedient werden, die eine geringe Leistung aufweisen und daher billiger sind als diejenigen, die früher benötigt wurden!

Dies erklärt m. E. auch sehr gut die seit Jahrzehnten immer stärker geförderte Einwanderungspolitik, die Förderung der Leiharbeitsfirmen, etc. pp – ganz im Sinne der Globalisten …. ! Das Konzept der Leiharbeit war und ist ein maßgeblicher Faktor, die Entrechtung von Arbeitnehmern immer weiter voranzutreiben! Es sind seit Jahren neue Arbeitssektoren entstanden, welche aus Personalvermittlern und Zeitarbeitsfirmen bestehen und welche sich konsequent zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwischenschalten und daran bestens mitverdienen. Nicht zuletzt waren es die Zeitarbeitsfirmen, die durch die Agenda 2010 gefördert wurden und somit das Lohnniveau und den Arbeitsmarkt hierzulande zerstört haben.

Lesen Sie hier z. B. über die „Senior-Experts“ des Querdenkers Michael Ballweg! Solchen Gestalten läuft das gutgläubige Volk in Sachen „Corona“ hinterher …


Was aus den Fachkräften wurde, sehen wir seit Jahren sehr, sehr deutlich! Der Lohnkostenvorteil, den das modernere Unternehmen hat, das die Planung von der Ausführung aggressiv getrennt hat, zwingt nach und nach die gesamte Industrie, den gleichen Weg zu gehen!


Ganze Handwerksbetriebe sind bereits verschwunden und es verschwinden täglich mehr. Auf diese Weise stirbt das handwerkliche Wissen für die breite Öffentlichkeit aus.

Braverman schreibt in seinem Buch: „Je mehr die Arbeit durch klassifizierte Bewegungen bestimmt wird, die sich über die Grenzen von Berufen und Tätigkeiten erstrecken, desto mehr löst sie ihre konkreten Formen in die allgemeinen Arten von Arbeitsbewegungen auf. Diese mechanische Ausübung menschlicher Fähigkeiten nach Bewegungstypen, die unabhängig von der jeweiligen Art der Arbeit untersucht werden, erweckt die marxistische Vorstellung von abstrakter Arbeit zum Leben.“

Das deutlichste Beispiel für abstrakte Arbeit ist das von Henry Ford erfolgreich initiierte Fließband (siehe Teil 1).


Was aber, wenn wir Menschen von Natur aus instrumentell oder pragmatisch orientiert sind und der Gebrauch von Werkzeugen wirklich essentiell für unser Leben sowie die Art und Weise ist, wie wir Menschen die Welt bewohnen?



Das größte Problem ist die Tatsache, dass wir zunehmend in einer Welt leben, die eben gerade — nicht — unsere ursprüngliche Art, zu leben, unterstützt!


Die Konditionierung der Kinder

Wir haben viel zu wenige Gelegenheiten, etwas handwerklich tun, weil die Dinge in gewisser Weise aus der Ferne vorherbestimmt sind. Genau diese Erfahrung der Vorherbestimmung macht den noch temperamentvollen Menschen instinktiv verzweifelt und innerlich in gewisser Weise auch leer. Der Trost, den viele Menschen z. B. im Einkaufen (Dinge anhäufen) suchen, dient nur dazu, sie gegen die Anerkennung dieser Tatsachen zu betäuben, während sie genau damit gleichzeitig dazu beitragen, die Mega-Konzerne immer mächtiger und reicher zu machen bzw. generell damit weiter zum Anwachsen des Kapitals beitragen.

Es ist erschreckend mitansehen zu müssen, wie besonders die Jugend auf der Grundlage des passiven Konsums umgestaltet wird!

Matthew B. Crawford schreibt in seinem Buch „Shop Class as Soulcraft: An Inquiry into the Value of Work“, der letzte Schrei im Einkaufszentrum sei ein Geschäft namens „Build- a- Bear“ (Bau Dir einen Bären), in dem Kinder ihre eigenen Teddybären herstellen können. Er sagt, er sei selbst in einem dieser Läden gewesen, und es stellte sich heraus, dass das Kind eigentlich nur die Eigenschaften und die Kleidung für den Bären auf einem Computerbildschirm auswählen darf und der Bär dann für es angefertigt wird.


Die Kultivierung einer verkörperten Handlungsfähigkeit, wie sie für uns Menschen seit Jahrtausenden natürlich ist, wird damit verhindert!


Laut Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer sind in den USA Tablets für Babys der Renner. Nach einer Befragung von 900 Eltern sehen die Hälfte der Kleinkinder unter einem Jahr Fernsehshows, 36 Prozent bedienen einen Touchscreen, 15 Prozent „nutzen“ Apps und 12 Prozent spielen Computerspiele.


Sagen Sie – ist das abartig …?


Volle 72 Prozent der Eltern erlauben die Nutzung mobiler digitaler Endgeräte in diesem Alter, z.B. während sie den Haushalt erledigen. Da wird das Kind auch gerne gleich mal samt Tablet auf den Topf gesetzt …. 65 Prozent meinen, digitale Endgeräte dienten der Beruhigung und 29 Prozent erlauben es vor dem Schlafengehen.

Kinder, die auf diese Weise schon in frühen Jahren konditioniert werden, sind besser an die neuen Arbeits- und Konsummuster angepasst. Es wird ihnen nicht auffallen, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Die Pflegerinnen standen stramm, als der BUND eintrat. »Stellen Sie die Bücher auf!« befahl er kurz. Schweigend gehorchten sie. Zwischen die Rosenschalen wurden Bücher gestellt, eine Reihe Kinderbücher, jedes einladend aufgeschlagen auf einer Seite mit dem bunten Bild eines Vierbeiners, Fisches oder Vogels. »Nun bringen Sie die Kinder!«

Die Pflegerinnen eilten hinaus und kehrten nach ein paar Minuten zurück; jede schob so etwas wie einen hohen Stummen Diener vor sich her, dessen vier drahtvergitterte Fächer mit acht Monate alten Kindern beladen waren, alle einander genau gleich (eine Bokanowskygruppe offenbar) und alle, da sie der Deltakaste angehörten, in Khaki gekleidet.

»Setzen Sie sie auf den Boden!«

Die Kinder wurden abgeladen.

»Nun wenden Sie sie so, daß sie die Blumen und Bücher sehen können!«

Kaum war das geschehen, verstummten die Kinder und begannen auf die Sträuße mit ihren seidig schimmernden Farben, auf die so fröhlich auf den weißen Buchseiten leuchtenden Figuren loszukrabbeln. Die Sonne, einen Augenblick lang verdunkelt, kam hinter einer Wolke hervor. Die Rosen flammten auf, wie von jäh erwachter Leidenschaft durchglüht; neue, tiefere Bedeutsamkeit schien die bunten Bilder zu erfüllen. Aus den Reihen der krabbelnden Kinder ertönten kleine aufgeregte Schreie, freudiges Lallen und Zwitschern. Der Direktor rieb sich die Hände. »Großartig!« sagte er. »Fast wie auf Bestellung!«

Die flinksten Babys waren schon am Ziel. Unsicher streckten sich Händchen aus, berührten, ergriffen und entblätterten die vom Sonnenlicht verklärten Rosen, zerknitterten die Bilderbuchseiten. Der Direktor wartete, bis alle vergnügt beschäftigt waren. »Und nun passen Sie auf!« sagte er und gab mit erhobener Hand ein Zeichen. Die Oberpflegerin, die am anderen Ende des Saales vor einem Schaltbrett stand, drückte einen kleinen Hebel herunter. Ein heftiger Knall. Gellendes und immer gellenderes Sirenengeheul. Rasendes Schrillen von Alarmglocken. Die Kinder fuhren zusammen. Sie begannen zu schreien, die Gesichtchen von Entsetzen verzerrt. »Und jetzt«, brüllte der Direktor, denn der Lärm war ohrenbetäubend, »werden wir ihnen die Lektion mit einem kleinen elektrischen Schlag einbleuen.« Er winkte abermals, die Oberpflegerin drückte einen zweiten Hebel. Das Schreien der Kinder hörte sich plötzlich anders an. Verzweiflung, fast Wahnsinn klang aus diesen durchdringenden Schreikrämpfen. Die kleinen Körper zuckten und erstarrten, ihre Arme und Beine bewegten sich ruckartig, wie von unsichtbaren Drähten gezogen.

»Wir können diesen Teil des Fußbodens unter Strom setzen«, brüllte der Direktor erklärend. »Aber jetzt genug!« bedeutete er der Pflegerin. Die Detonationen hörten auf, die Klingeln verstummten, das Sirenengeheul erstarb nach und nach. Die zuckenden Kinderleiber lösten sich aus ihrem Krampf, das irre Stöhnen und Schreien ebbte zu einem gewöhnlichen Angstgeplärr ab. »Geben Sie ihnen noch mal die Blumen und Bücher!« Die Pflegerinnen gehorchten, aber beim bloßen Anblick der Rosen, der bunten Bilder mit den Miezekatzen, Hottehüpferdchen und Bählämmem wichen die Kinder schaudernd zurück; ihr Geplärr schwoll sogleich wieder zu Entsetzensgeschrei an.

»Beachten Sie das, meine Herren«, sagte der Direktor triumphierend, »beachten Sie das genau!« Bücher und unerträglicher Lärm, Blumen und elektrische Schläge – schon der kindliche Verstand verband diese Begriffe miteinander, und nach zweihundert Lektionen dieser oder ähnlicher Art waren sie unlösbar miteinander verknüpft. Was der Mensch zusammenfügt, das kann die Natur nicht trennen.

»So wachsen sie mit einem wie die Psychologen zu sagen pflegten, instinktivem Haß gegen Bücher und Blumen auf. Wir normen ihnen unausrottbare Reflexe an. Ihr ganzes Leben lang sind sie gegen Druckerschwärze und Wiesengrün gefeit.« Der Direktor wandte sich an die Pflegerin. »Schaffen Sie sie hinaus!«

Noch immer plärrend, wurden die Khakikinder wieder auf die Stummen Diener verladen und hinausgefahren; sie hinterließen den Geruch von saurer Milch und eine höchst willkommene Stille.

Ein Student hob den Finger: Er sehe ja ein, daß es nicht gehe, Angehörige der niederen Kasten ihre der Allgemeinheit gehörende Zeit mit Büchern vergeuden zu lassen, ganz abgesehen von der Gefahr, daß sie etwas lesen könnten, das unerwünschterweise einen ihrer angenormten Reflexe beeinflussen könnte, und doch – nein, er verstehe das mit den Blumen nicht. Warum mache man sich die Mühe, die Psyche der Deltas darauf zu normen, daß sie keine Freude an Blumen hatten?

Geduldig erklärte es der BUND. Kinder beim Anblick einer Rose in Schreikrämpfe zu versetzen, entsprang einer höchst ökonomischen Voraussicht. Vor gar nicht langer Zeit, etwa hundert Jahre war es her, hatte man Gammas, Deltas, sogar Epsilons die Liebe zu Blumen und überhaupt Freude an der Natur angenormt. Sie sollten das Bedürfnis haben, bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Grüne zu pilgern, und dadurch gezwungen werden, Verkehrsmittel zu benutzen.

»Und benutzten sie sie?« fragte der Student.

»Jawohl, ausgiebig«, erwiderte der BUND. »Aber sonst nichts.«

Primeln und Landschaft, dozierte er, hätten einen großen Nachteil: sie seien gratis. Die Liebe zur Natur halte keine Fabrik in Gang. Man hatte daher beschlossen, die Liebe zur Natur abzuschaffen, wenigstens bei den niederen Kasten, nicht aber den Hang, die Verkehrsmittel zu benutzen. Denn es war natürlich unerläßlich, daß sie auch weiterhin ins Grüne fuhren, selbst wenn es ihnen zum Hals herauswuchs. Das Problem lag darin, einen triftigeren wirtschaftlichen Grund für die Benutzung der Verkehrsmittel zu finden als bloßes Wohlgefallen an Primeln und Landschaft. Man fand ihn denn auch.

»Wir normen den Massen den Haß gegen landschaftliche Schönheiten an«, schloß der Direktor, »doch zugleich auch die Liebe zum Freiluftsport. Dabei achten wir darauf, daß jeder Sport den Gebrauch komplizierter Geräte nötig macht. Sie benutzen also nicht nur die Verkehrsmittel, sondern auch die Fabrikerzeugnisse. Und darum diese elektrischen Schläge.«

»Ich verstehe«, sagte der Student und schwieg, von Bewunderung übermannt.

(Aldous Huxley, Schöne Neue Welt)


Die Alten wussten noch, dass das Herz eines Menschen, der sich der Natur entfremdet, hart wird. Sie wussten, dass mangelnde Ehrfurcht, Wertschätzung von allem Lebendigem und allem, was da wächst, bald auch die Ehrfurcht und Wertschätzung vor den Menschen absterben lässt. Deshalb war der Einfluss der Natur, der die jungen Menschen feinfühlig machte, ein wichtiger Bestandteil ihrer Erziehung.

Und heute?

Die Tätigkeit, den Dingen eine Form zu geben, scheint zunehmend die Aufgabe eines kollektivierten „Geistes“ zu sein, und vom Standpunkt eines einzelnen Individuums aus betrachtet, hat man das Gefühl, dass diese Formgebung bereits irgendwo anders stattgefunden hat …

Der Verbraucher soll zudem zunehmend nicht nur von der Herstellung entlastet werden, sondern auch von einer grundlegenden Bewertungs-Tätigkeit. Dem Verbraucher bleibt lediglich die Wahl, sich für dieses oder jenes zu entscheiden. Das Markt-Ideal der Wahl durch ein „autonomes Selbst“ scheint wie eine Art Betäubungsmittel zu wirken, das die Verdrängung der verkörperten Handlungsfähigkeit erleichtert oder die Entwicklung einer solchen Handlungsfähigkeit generell ausschließt, indem es rund um die Uhr einfachere Befriedigungen bietet.

Besonders im Weltnetz!

Was haben wir Menschen nur aus unserem frühneuzeitlichen Erbe gemacht …?


Ungleichheit

Die Organisatoren der Nebenausstellung über die „Soziale Frage“  (Pariser Weltausstellung, 1900) kannten im Blick auf den Kapitalismus keinerlei Zweifel. Es war bereits damals für viele ein Fakt, dass dieses Wirtschaftssystem die Arbeitenden entwürdigte und folglich demoralisierte. Als es Mitte der 1890er Jahre in der amerikanischen Arbeiterschaft zu einer Selbstmordwelle kam, war niemand in der radikalen Presse wirklich überrascht davon.

Wo stehen wir heute? Damals gab es noch keinen durch die Werbung so intensiv propagierten Massenkonsum. Die Menschen kauften sich hauptsächlich Dinge, die sie leibhaftig berühren und selbst in ihre Hände nehmen konnten. Heute, im Internet, beherrschen Bilder und Datensammelbecken (Memplexhalden) den Konsum.

Die Bildschirme bestimmen das Leben!



Während die Kluft zwischen den Reichen und der Mittelschicht immer größer wird, wird der Kapitalist zum erfolgreichsten Beutejäger.

Richard Sennett schreibt in seinem Buch „Zusammenarbeit“, dass mit der Ungleichheit ein gänzlich neuer Aspekt besonders in das Leben unserer Kinder, getreten ist, der deren Fähigkeit immens hemmt, reelle Kontakte zu anderen aufzunehmen und miteinander auf natürliche Weise zu kooperieren.


Zur Begründung dieser starken These betrachtet er zwei Dimensionen sozialer Ungleichheit

  1. Ungleichheit, die den Kindern aufgezwungen wird und nicht ihren eigenen Vorstellungen oder Wünschen entspricht
  2. Ungleichheit, die aufgenommen und verinnerlicht wird, so dass sie Teil des kindlichen Ichs zu sein scheint

Eine Möglichkeit der Verinnerlichung von Ungleichheit hat laut Sennett eine ganz besonders negative Auswirkung auf die Psyche des Kindes:

Das Kind entwickelt eine größere Abhängigkeit von den konsumierten Dingen als von anderen Menschen!


Und es wird einsam! Der Konsum erweckt zudem den neidvollen Vergleich zum Leben. Das Kind, das die tollen Kleider tägt, blickt auf das Kind ohne diese herab. Der neidvolle Vergleich nutzt Minderwertigkeitsgefühle aus, wie es der Werbe-Guru Edward Bernays bereits erläuterte:

Die Werbung soll jemanden, „der ein Niemand ist“, davon überzeugen, dass er „etwas Besonderes“ sei!

Kaffee-Werbung – Kaffee ruiniert zwar auf Dauer die Nebennieren und was sonst noch alles, aber ist dennoch die beliebteste Volksdroge. Die „Experten“ der „Kaffee-Wissenschaft“ garantieren uns die Unschädlichkeit von Kaffee und loben regelmäßig seine vielen Vorzüge. Dank der Lobby ist diese „Wissenschaft“ sehr gut finanziert.


Nicht nur die passende Droge, die die Arbeiter auf Trab hält soll regelmäßig beworben werden, sondern auch sämtliche Statussymbole, für die sich das Buckeln auch lohnen soll. Der Werbefachmann David Ogilvie spricht hier von sogenannter Statuswerbung.

Die Werbung müsse dem Konsumenten ein „Gefühl von Anerkennung und Wert“ vermitteln (Kleider machen Leute/mein Auto, mein Haus, mein Boot; …), das ihm der Kauf des beworbenen Massenprodukts (ein Apple i-Phone z. B.) einbringen werde.

Gewöhnliche Menschen haben das Gefühl, sie erhielten keine Anerkennung und besäßen in den Augen gebildeterer oder einfach nur reicherer Leute keinerlei Ansehen. Das Statusobjekt soll diesem Gefühl abhelfen – deswegen können Sie heute auch alles leasen oder auf Raten kaufen. Somit werden die Verbraucher noch tiefer in die Abhängigkeitsspirale gedrängt. Hängt man erstmal drin, verzichtet man des „Jobs“ wegen auch zunehmend auf seine Rechte und wird leichter erpressbar …!

Forscher, die sich mit der Kommerzialisierung der Kindheit befassen, sind besorgt, weil besonders die Kinder nicht in der Lage sind, zu erkennen, was in der Statuswerbung vorgeht. Sie nehmen implizite, unausgesprochene neidvolle Vergleiche als Tatsachen hin.


Die weitere Entwicklung dieser Fehleinschätzungen ist leicht abzusehen. Betrachtet man sich die Welt, im Besonderen die Vertreter der selbsternannten „Elite“ und deren Stars und Sternchen, die uns diese Statussymbole rund um die Uhr vorleben, wird dieses pausenlose Profitstreben der neueren Generationen immer verständlicher.


Wir Menschen haben es die letzten Jahrzehnte über leider völlig versäumt, die Konzentration wirtschaftlicher Macht zu verhindern. Man denke nur an Konzerne wie z. B. Amazon und in wie weit dieser Konzern mittlerweile seine Macht und Kontrolle x-beliebig ausspielen kann (vor Allem, weil er bestens mit anderen Großkonzernen vernetzt ist).

Viele haben es nicht berücksichtigt, wie eine solche Konzentration der Macht und Kontrolle des Kapitals die Bedingungen beeinträchtigt, unter denen ein natürliches menschliches (!) Leben und Wachsen auch in Zukunft möglich sein sollte.



Zurück zum Handwerk!

Was wollen wir wirklich für einen jungen Menschen, wenn es an der Zeit ist, ihm eine Berufsberatung zu geben? Wollen wir eine Arbeit, die die menschlichen Fähigkeiten so umfassend wie möglich einbezieht, so dass er sich auch im Beruf später wie ein Mensch fühlen und ausdrücken kann?


Das Handwerk befriedigt ein natürliches Grundbedürfnis und stellt einen sicheren Hafen für jeden dar, der aus eigener Kraft leben möchte – frei nicht nur von abstumpfender Abstraktion, sondern auch von den heimtückischen Hoffnungen und der wachsenden Unsicherheit, die in unserem heutigen Wirtschaftsleben endemisch zu sein scheinen. Als selbständiger Handwerker werden wir Menschen zudem sehr wahrscheinlich weniger gesundheitlich geschädigt und möglicherweise auch besser bezahlt.


Eine Wahl für das Handwerk würde jedoch bedeuten, einen von vielen „Experten“, Lehrern, etc. pp heutzutage vorgezeichneten Lebensweg abzulehnen, welcher von jenen als obligatorisch und unvermeidlich angesehen wird. Es hieße auch, Druck aushalten zu können, um seine eigene Wahl langfristig vertreten zu können, daran zu wachsen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen!